Prolog

Alpha – jene sagenumwobene Welt, wo vor 10 Milliarden Jahren die erste Zivilisation der Milchstraße geboren wurde – wo lag sie?
Kamen sie aus dem immerwährend strahlenden Zentrum der Galaxis oder aus einem Kugelsternhaufen, wo die Sterne so nah beieinander stehen, dass es niemals Nacht wird?
Vor langer Zeit gingen sie, doch andere kamen und folgten ihren Pfaden, wie sie es vorausgesehen hatten.
Was mochte am Ende des Weges wohl warten?
Und wie sollte man dorthin finden?



Die Jagd beginnt



Tief im Perseus-Arm liegt eine Raumstation der Triani.
Raumschiffe und Forscher aller Völker der bekannten Galaxis sind dort zusammengekommen, um sich des Alpha-Problems anzunehmen.
Erik, seine Mutter und die Exoarchäologin Isis betreten die Sternkartenkammer der Station, in deren Mitte ein Projektor steht.
Als er eingeschaltet wird, erscheint eine Karte der Galaxis, in der die Positionen aller bekannten Hinterlassenschaften der mysteriösen Alpha-Zivilisation eingezeichnet sind.
Auslöser der Zusammenkunft ist ein aufsehenerregender Fund, den die Triani kürzlich gemacht haben.



Sie sind es auch, die die Versammlung eröffnen.
„Im Sektor 301 haben wir eine Säule, ähnlich denen bei Orion, entdeckt. Unsere Kollegin Isis Bachmann hat inzwischen die Schriftzeichen entschlüsselt.“
Das ist für Eriks Tante Isis das Stichwort.
„Die neu entdeckte Säule hat uns gezeigt, dass diese Monumente unter anderem Wegweiser gewesen sind. Neben den schriftlichen Informationen, die mit denen von Orion übereinstimmen, gibt es auch noch astronomische Daten. Dazu bitte ich unsere Astronomin vom Tycho-Mond-Observatorium vorzutreten.



Shaula ist sehr nervös, als sie vor der Versammlung zu sprechen beginnt.
„Wir haben eine Darstellung auf der Säule als Karte unserer Nachbargalaxie – also des Andromeda-Nebels – identifiziert. Diese Karte besitzt so viele Details, dass wir glauben, die Alphas haben eine Expedition dorthin unternommen.“
Allen im Raum verschlägt es die Sprache darüber, dass die Alphas diese gewaltige Leistung vollbracht hatten.
Die heutigen Raumschiffe benutzten entweder Solarenergie oder kalte Fusion.
Keine der beiden war in der Lage, ein Raumschiff über diese weite Strecke zwischen den Galaxien hin und her zu befördern.
„Unter der Karte eines Sektors der Andromeda-Galaxie befinden sich zwei Spalten mit Zahlenangaben im Binär-Code. Die erste enthält die Entfernung und den Winkel von der Säule nach Andromeda.“
Eriks Mutter unterbricht kurz und fährt dann fort.
„Die zweite Spalte gibt dieselben Daten an, von einem Punkt aus gesehen, der im galaktischen Kern liegt. Wir hoffen dort Alpha oder wenigstens einen weiteren Wegweiser zu finden.“
Shaula begibt sich wieder zu ihrem Sitzplatz und ein Laure, einer der Leiter der Forschungsabteilung der Interstellaren Allianz, wird auf ein Podest gesetzt, um zu den Wissenschaftlern zu sprechen.
„Liebe Kollegen. Wir haben uns entschieden, so schnell wie möglich eine Expedition mit dem Forschungsschiff COPERNICUS zu entsenden. Eile ist geboten, da wir nicht die einzigen sind, die nach Alpha suchen.“
Gemurmel ist nun unter den Wissenschaftlern zu hören, die nicht mit dieser Entwicklung der Dinge gerechnet hatten.
„Vor einigen Monaten wurde auf dem Erdmond ein weiteres Artefakt der Alphas geborgen. Hierbei handelte es sich um eine Sonde, die die Entwicklung des Lebens auf der Erde aufzeichnen sollte. Auf noch ungeklärte Weise ist irgend jemand in die irdischen Datenbanken eingedrungen und hat die Informationen über diese Sonde gestohlen. Wir wissen nicht, wer diese fremde Macht ist, haben aber Hinweise darauf, dass die Ansi mit ihr in Verbindung stehen.“
Die Ansi – manchmal auch Ansi-Piraten genannt – waren unter den zivilisierten Völkern nicht gerade beliebt. Sie waren Räuber, Halsabschneider und Waffenhändler, die sich nicht um das Schicksal anderer scherten.
„Wir alle wissen, dass die Alphas eine Technologie besaßen, von der wir noch nicht einmal träumen können. Diese Technik darf auf gar keinen Fall in die falschen Hände geraten.“, fuhr der Laure fort.
Hierauf wird die COPERNICUS von der Versammlung mit Isis, Shaula, einem Mendriten, einem Triani und einem Cephei zu den geheimnisvollen Koordinaten geschickt.
Auch Erik darf mitkommen.
Die sechs betreten die COPERNICUS und starten zu einem der größten Abenteuer aller Zeiten …





Kursbestimmung

Nach dem Start bringt Isis das Schiff über die galaktische Ebene, um eine Kurspeilung vorzunehmen.
„Tante“, sagt Erik schließlich, „Ich war mit der PLEIADES auch schon mal im galaktischen Kern. Warum habe ich dort nichts entdeckt?“
„Der Kern besteht aus Millionen von Sternen. Ohne genaue Koordinaten wäre die Suche nach Alpha wie die nach der Nadel im Heuhaufen.“, antwortet sie.
„Außerdem“, fügt sie hinzu, „hättest du von Alphas Stern nichts sehen können, weil er schon vor Milliarden von Jahren ausgebrannt ist. Alles, was heute von ihm übrig ist, ist vermutlich ein weißer Zwerg, der sich in Dunkelheit hüllt. Das wird auch eines unserer Hauptprobleme bei dieser Expedition sein.
„Le-ne-lee.“, stimmt der mendranische Wissenschaftler ihr zu.
Shaula sitzt mit den übrigen Experten am elektronischen Teleskop und versucht ihre ersten groben Berechnungen zu verfeinern.
Schließlich steht sie auf und geht zu Isis, die schon gespannt wartet.
„Ich habe die Koordinaten bis auf 10 Lichtjahre genau berechnet.“, sagt Shaula.
„Das heißt, dass wir einen Raum von 8000 Kubiklichtjahren durchkämmen dürfen!“, seufzt Isis.
Die COPERNICUS macht sich auf ihre weite Reise.





Feuer in der Tiefe

Viele Stunden sind verstrichen, seit die COPERNICUS die Raumstation verlassen hat.
Endlich erreicht sie das Zielgebiet und beginnt mit der Suche.



Nach wenigen Minuten spürt man plötzlich wie ein leichtes Zittern das Schiff durchläuft und immer heftiger wird.
Isis reißt erschrocken die Augen auf und überprüft ihre Sensoranzeigen.
Auf dem Hauptbildschirm erscheint sofort die Quelle der schweren Gravitationswellen.
Es ist ein gewaltiges, ganze Sonnensysteme verschlingendes schwarzes Loch, das Überbleibsel eines Riesensterns.



„Das nächste Mal sagst du mir gefälligst Bescheid, bevor du mich zu so einem Monstrum lotst!“, flucht Isis.
„Meinst du, ich kenne jedes mit Vor- und Nachnamen?!“, flucht Shaula zurück.
Dann bringt Isis die COPERNICUS auf einer Spiralbahn ganz nah an das schwarze Loch heran.
Das Raumschiff stürzt immer tiefer zu dem Strudel hinunter, bis es den Ereignishorizont erreicht, wo Raum und Zeit aufhören zu existieren.
Wo eben noch die Sterne schienen, ist es nun dunkel und Feuerschwaden scheinen am Rand des Strudels herum zu wirbeln wie zu einem dämonischen Tanz.



Die COPERNICUS rast mit den Gaswirbeln um das schwarze Loch, wird immer schneller und schießt wie ein Komet aus der Todesfalle heraus.
Isis lässt sich rücklings in ihren Sessel fallen und gibt einen Stoßseufzer von sich.





Der Schlüssel

Nachdem sich alle von dem Schreck erholt haben, setzen sie ihre Suche fort.
Fast zufällig bemerkt der Cepheide etwas in der Ferne, das merkwürdig glitzert.
Als man näher kommt, entpuppt sich das Etwas als vier schlanke Säulen, ähnlich der neu entdeckten.



Isis beginnt sofort nach Schriftzeichen zu suchen.
Zwar tragen alle Säulen Inschriften, doch eine ist besonders auffällig.
Shaula beginnt am Computer sofort zu rechnen, während alle anderen mit einem Gefühl des nahen Triumphs zu den Säulen blicken.
„Haben wir es jetzt geschafft?“, fragt Erik vorsichtig.



Isis nimmt Erik und hebt ihn voller Freude überschwänglich hoch.
„Ja, ich glaube jetzt haben wir es geschafft! Diese Säulen sind ein Knotenpunkt, von wo aus man verschiedene Orte in der Galaxie anpeilen kann.“
Shaula kommt mit ihren fertigen Berechnungen zurück und Isis gibt die Daten in den Autopiloten ein.
So begibt sich die Expedition hoffnungsvoll auf den letzten Schritt der Reise.





Alpha gefunden
Immer tiefer dringt die COPERNICUS in den galaktischen Kern vor.
Nach einer Weile kommt eine Sternengruppe in Sicht, die auf einer elliptischen Bahn um das galaktische Zentrum kreist.



„Was nun große Astronomin?“, fragt Isis, „Wo sollen wir jetzt hin?“
Shaula scheint nun etwas nervös zu sein und braucht einige Zeit, bis sie die richtigen Worte findet.
„Die Inschrift enthält zwei Winkelangaben. Die erste hat uns zu diesem Sternhaufen gebracht. Wozu die zweite gut ist ...“
„Sind ja nur ein paar tausend Sterne!“, sagt Isis und lässt die Schultern sinken.
Erik aber hat eine Idee.
„Vielleicht ist der zweite Winkel ein Positionswinkel zwischen Alpha und einem festen Punkt.“
„Der einzige feststehende Punkt ist das Zentrum des Haufens!“, ruft Isis und bringt das Schiff auf neuen Kurs.
Wenige Minuten später taucht ein weißer Zwergstern auf, der schon vor langer Zeit erkaltet ist und sich verdunkelt hat.
Um den Stern kreist eine unförmige Schlackekugel. Dies ist alles, was von Alpha nach der Explosion seiner Sonne übrig geblieben ist.



„Soll das alles sein?“, fragt Shaula entgeistert.
„Was haste denn erwartet? Dass hier ein Holiday Inn steht und davor ein großes Schild 'Zimmer frei'? Typisch Astronomen! Keine Ahnung von Archäologie.“, schimpft Isis.
Nur Erik gibt nicht auf.
„Die Alphas haben so viel zurückgelassen. Es muss etwas geben.“
Die COPERNICUS schwenkt in eine Umlaufbahn um Alpha ein und nach schier endlosen Minuten geschieht das Wunder.
Auf der verbrannten Oberfläche steht etwas, das wie eine Pyramide aussieht.
Das Raumschiff landet nach einer weiteren Umkreisung in der Nähe der Pyramide und die Expeditionsteilnehmer fahren mit einem Geländefahrzeug zu ihr.





Das Hologramm

Nachdem die Gruppe an einer Seite der Pyramide ein Portal gefunden und durchschritten hat, stehen sie in einem langen Tunnel, der nach unten führt.
Die Wände sind schwach beleuchtet und Isis beginnt sich zu fragen, ob irgendwelche Mechanismen ihr Eindringen bemerkt und die Lichter für sie eingeschaltet hätten.
„Als ob wir erwartet werden. Irgendwie unheimlich.“, bemerkt Shaula.
„Ich frage mich, welche Energiequelle diese Lichter speist und wie es sein kann, dass hier immer noch alles funktioniert. So etwas habe ich auf keiner anderen Expedition gesehen.“, meint Isis.
Der Tunnel endet in einem großen Saal, der sich anscheinend unter der Pyramide befindet.



Auf der linken Seite steht eine hohe Statue, die vermutlich ein Wesen der Alpha-Zivilisation darstellen soll.
Die goldene Statue ruht auf drei hohen Beinen.
Aus der Mitte des Körpers ragen drei Arme wie die Fangarme eines Tintenfisches hervor.
An der Spitze des Körpers sind wiederum drei lange Stiele an deren Enden sich die Augen befinden.
Dies ist das erste Abbild eines Wesens dieses rätselhaften Volkes, das man gefunden hat und die Gruppe steht einige Minuten ehrfürchtig davor.
„Als Howard Carter nach langer mühsamer Forschungsarbeit endlich das Grab von Tut-Ench-Amun gefunden hatte und durch eine kleine Öffnung hineinspähte, fragte man ihn, ob er etwas sieht. Er antwortete: 'Ja, wunderbare Dinge.' Auch ich sehe wunderbare Dinge hier. Zwar gibt es an den Wänden kein einziges Zeichen, aber dieses Abbild eines Alphas und dass wir nun hier auf ihrer alten Heimatwelt stehen, ist mehr als ich zu träumen gewagt hatte.“, sagt Isis.
Erik wirft einen Blick auf das Ende der Halle, wo am Boden eine kleine Plattform von einem diffusen blauen Licht erhellt wird.
„Was ist das da hinten?“, fragt er und geht zu der Plattform hin.
Das Licht beginnt plötzlich zu pulsieren, ein Strahl schießt heraus und formt ein hübsches junges Menschen-Mädchen.
Alle stehen vor Staunen wie erstarrt vor dem Hologramm.
„Na-de-bree?“, fragt der Mendrit, der als Erster die Sprache wiedergefunden hat.
„Nein, es gibt hier keine Artefakte. Aber wenn sie es wünschen, kann ich ihnen alle Daten geben, die sie wollen.“, antwortet das Hologramm.
„Und ob wir das wünschen!“, ruft Isis.



Während alle anderen auf einer holographischen Projektion ihre heiß ersehnten Informationen abrufen, bestaunt Erik immer noch das Hologramm.
Nach einer Weile blickt das Bild des Mädchens zu ihm herab und sagt schließlich: „Du bist sonderbar. Willst du denn nichts über unsere Raumfahrt und Technik erfahren?“
„Nein.“, entgegnet er, „Ich möchte viel lieber wissen, wie ihr selbst gewesen seid, was ihr gedacht, worüber ihr euch gefreut habt.“
„Oh!“, antwortet sie und ein Lächeln umspielt ihre Lippen.
„Das ist eine längere Geschichte, aber das macht nichts. Du kannst mich mitnehmen.“
Aus der Plattform schießt ein zweiter kleinerer Strahl heraus, der sich zu einem kleinen Amulett formt.
Dieses ist kein Hologramm, sondern wirklich da, so dass Erik es in die Hand nehmen kann.
„Was ist das?“, fragt er.
„Dies ist ein Computer. Eine Kopie von mir befindet sich nun darin.“, antwortet das Hologramm.
Erik fackelt nicht lange, hängt das Amulett an seine Halskette und geht wieder zu den anderen.
Auf der Heimreise betrachtet er es noch lange, bevor er vor Müdigkeit einschläft.



Als er wieder aufwacht, ist er immer noch an Bord der COPERNICUS.
Er reibt sich die Augen, steht auf und geht zum Kontrollraum.
Nur seine Mutter und der Wissenschaftler der Mendriten sind da.
„Hast du gut geschlafen?“, fragt ihn seine Mutter und drückt ihn an sich.
„Ja, aber wo sind wir? Und warum sind wir allein an Bord?“, fragt Erik aufgeregt.
Ein kurzer Blick auf den Bildschirm beantwortet zumindest die erste Frage.
Die COPERNICUS umkreist – ebenso wie zwei Raumschiffe der Cephei - einen der über hundert Planeten, die von den Cephei bewohnt werden.
Geheimnisvolle Lichtbögen ziehen ihre Bahnen um den Planeten.
„Die anderen sind auf dem Planeten und unterrichten das Raumflottenkommando der Cephei über die Ergebnisse unserer Expedition.“, erklärt Shaula.
„Fliegen wir nach Hause, wenn sie wieder zurück sind?“, möchte Erik wissen.
„Zuerst geht es zurück zu der Triani-Station und dann zur Erde. Vermisst du Papa?“
„Ja ja.“, antwortet Erik. Doch was er zur Zeit wirklich vermisst sind seine Freunde Linus und Julia, denen er alles unbedingt erzählen muss. Und was er fast noch mehr vermisst, ist sein eigenes Raumschiff.
Mit Hilfe des Computers von Alpha kann er nun endlich in Regionen der Galaxis vordringen und Wunder sehen, von denen niemand bisher geträumt hat …



Reiseroute